
Fühlt sich 2024 für euch auch schon etwas lang an? Dann hat Cocktailexperte Hans genau das Richtige für euch:
Hatte der amerikanische Historiker Bernard DeVoto recht, als er vor 75 Jahren den Martini Dry als „the supreme American gift to world culture“ bezeichnete? Frederic Henry, der Held von Ernest Hemingways Roman Farewell to Arms, würde ihm auf jeden Fall zustimmen. Als der Protagonist sich in einer großstädtischen Bar absetzt und zum Trost ein paar trockene Martinis degustiert, meint er zumindest: „I had never tasted anything so cool and clean. They made me feel civilized.“
Zivilisiert wirkt der Martini Dry (Zutaten: Gin, trockener Vermouth, Olive) allemal. Dieser Cocktailklassiker ist bei Ernest Hemingway ebenso wie bei Geheimagent 007 das Statussymbol der verfeinerten urbanen Zivilisation schlechthin. Martini Dry-Historiker Lowell Edmunds nennt als ‚Simple Messages of the Martini‘ u.a.: „The Martini is urban and urbane – it is not rural or rustic; The Martini is a high-status, not a low-status drink.“ Ermunternd zum Genuss ist auch Edmunds‘ Simple Message Nr. 5 „The Martini is optimistic – not pessimistic.“
Historisch betrachtet ist der Martini Dry vermutlich im 19. Jahrhundert aus dem Gin and It entstanden (Gin und süßer, d.h. roter Vermouth, z.B. Martini Rosso), wobei der rote durch trockenen, d.h. weißen Vermouth ersetzt wurde. Das Verhältnis dieses Drinks, Martini genannt, war 2:1, das des Dry Martini 3:1. (Der Name ‚Martini‘ hat übrigens nichts mit der Vermouth-Marke Martini zu tun, sondern ist entstanden aus der älteren Bezeichnung ‚Martinez‘.) Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde der Unterschied zwischen Martini und Dry Martini/Martini Dry weniger deutlich, die Devise lautete: je stärker und trockener (d.h. je weniger Vermouth), umso besser. In The Hour, der quintessenziellen Beschreibung der Cocktailstunde, lag für Bernard DeVoto im Jahre 1948 die perfekte Mischung aus Gin und Vermouth im Verhältnis von 3,7 zu 1. Das war noch moderat: im Jahre 2000 favorisierte der japanische Bartender Kazuo Uyeda das Verhältnis 6:1, zu einer Zeit, als der Trend schon längst vom Trockenen wieder zurückgekommen war.
Anders als der von Rubemma bereits vorgestellte Negroni und Margarita steht der Dry Martini nicht exemplarisch für einen bestimmten Typus Cocktail mit zahlreichen Abwandlungen. Aber gerade weil dieser einmalige Drink nur zwei Zutaten kombiniert, lädt er dazu ein, neue Varianten zu entwickeln, die dem individuellen Geschmack entsprechen. So gesehen bildet er eine eigene Kategorie.
Heutzutage gibt es bei Gin wie bei Vermouth zahlreiche neue Marken; jede Kombination schmeckt anders. Ganz klassisch kann eine grüne Olive mit Stein mit einem Cocktailpiekser in das Glas gegeben werden (vorheriges Abspülen ist nicht unbedingt notwendig, die Salzlake verleiht dem Getränk eine fein-pikante Geschmacksnote). Wenn die Olive durch eine kleine Silberzwiebel ersetzt wird, nennt sich das Getränk Gibson. Sehr gepflegt (aber ebenfalls nicht notwendig) ist es, das Getränk mit einer Zitronenzeste abzuspritzen und diese anschließend über den Rand des Glases zu hängen.
Weniger umstritten als das Verhältnis der Zutaten oder die Notwendigkeit von Dekorationen ist die Frage der Zubereitung: geschüttelt oder gerührt? Für professionelle Bartender ist die Sache ‚klar‘: Rühren mit Eis ist bei dieser Mischung klarer Spirituosen die Standardtechnik; mit dem Shaker zu Arbeiten (’shaken, not stirred‘) wäre hier für Profis eine mixologische Ordnungswidrigkeit, denn die dabei entstehenden Luftbläschen machen das Getränk trübe. Aber andererseits: Das Schütteln macht an der Hausbar ja so viel mehr Spaß, und wenn man das Getränk zwischen der Zubereitung und dem Servieren ganz kurz stehen lässt, sind die kleinen Luftbläschen aus der Flüssigkeit verschwunden und ist das Aussehen nicht mehr ‚cloudy‘. Shaken mit Eiswürfeln hat auch den Vorteil, dass das Getränk schnell und effektiv gekühlt werden kann, ohne dass man lange mit einem Barlöffel hantieren muss.
Bitters verleihen dem Drink ein Zusatzaroma und kreieren Raum für noch mehr Variation. Orange Bitters ist typisch für den Martini Dry, aber ein interessanter Effekt lässt sich mit einigen Tropfen Thai Spice Bitters erzielen, die vor dem Schütteln in den Shaker gegeben werden: Die Schärfe verleiht dem Drink noch mehr Körper und Charakter.
Dry Martini Cocktail für 2 Personen
- 10 cl Gin (z.B. Bombay 47%)
- 2 cl trockener Vermouth (z.B. Noilly Prat)
Schütteln oder rühren mit Eis.
Ins Glas seihen, wobei das Eis zurückbleibt.
